Dr. Christoph Leser verfügt über fast 30 Jahre Erfahrung als Forscher, Prüfingenieur, Anwendungsingenieur und Prüfberater und ist Vorsitzender in einem ASTM-Unterausschuss. In diesem Beitrag beschreibt Dr. Christoph Leser, wie Materialforscher konsistente Ergebnisse bei der thermomechanischen Ermüdungsprüfung (TMF, Thermomechanical Fatigue) erzielen.
F: Weshalb wächst das Interesse an der TMF-Prüfung?
A: Zwei der derzeit spannendsten Themen der Materialforschung und -entwicklung sind Turbinen, die in der Luft- und Raumfahrt und bei der Energiegewinnung zum Einsatz kommen. In beiden Fällen erzielen Designer eine betriebliche Effizienz und Zuverlässigkeit jenseits aller bisherigen Erwartungen. Dazu benötigen sie Turbinenkomponenten und Strukturen, die über lange Zeit hohen Temperaturen unter verschiedensten zyklischen Lastbedingungen standhalten können. Zu den Materialien, die dazu untersucht werden, gehören unter anderem innovative Superlegierungen, keramische Matrixkomponenten und keramische Beschichtungen. Das Wissen darüber, wie diese Materialien auf die gleichzeitige Veränderung von Temperatur und Last reagieren, macht TMF zu einem wichtigen Bestandteil des F&E-Prozesses.
F: Können Sie uns kurz die mechanischen Abläufe und Ziele der TMF-Prüfung beschreiben?
A: Die TMF-Prüfung ist eine Art Ermüdungstest, bei dem die realen Servicebedingungen technisierter Komponenten so nah wie möglich simuliert werden. Konkret charakterisieren TMF-Prüfungen die Reaktion von Materialien auf gleichzeitige zyklische mechanische Belastung und fluktuierende Temperatur. Dadurch wird eine synergistische Reaktion hervorgerufen, die im Rahmen isothermischer Ermüdungsprüfungen nur schwer prognostizierbar ist. Die über TMF-Tests generierten Daten helfen Forschern bei der Modellierung des Komponentenverhaltens sowie bei der Validierung bestehender Modelle in einer kontrollierten Prüfumgebung.
F: Welche besonderen Herausforderungen gehen mit TMF-Prüfungen einher
A: Die TMF-Prüfung kann schwierig sein, da sie phasengleiche und phansenabweichende mechanische und thermische Zyklen nutzt. Der Phasenwechsel zwischen temperaturinduzierter und mechanisch induzierter Belastung lässt zahlreiche Auslegungen des Materialverhaltens zu. Es muss Wärme mithilfe von Strahlung oder Induktion angewendet werden, was möglicherweise Kühlung erfordert. Die Prüfausrüstung und -vorrichtung muss hohen Temperaturen standhalten. Das Erfassen genauer Daten ist schwierig, da Hochpräzisionssysteme bei sehr hohen Temperaturen anders reagieren. Die Art des zu prüfenden Materials hat Auswirkungen auf das Setup, und es gibt zahlreiche Optionen für Instrumentierung, Erwärmung, Kühlung und Befestigung. Aus all diesen Gründen sind TMF-Prüfungen tendenziell individuell angepasst und komplex.
F: Wie können Forscher angesichts dieser Komplexität jemals Konsistenz zwischen den einzelnen Prüfungen und Labors erzielen?
A: Prüfstandards wie ISO 12111 und ASTM E2368 beschreiben bewährte Verfahren für die Charakterisierung von Materialien, die gleichzeitigen thermischen und mechanischen Belastungen ausgesetzt werden. Eine weitere gute Ressource für die Herstellung von Prüfkonsistenz ist der von einem Konsortium internationaler Partner entwickelte „European Validated Code of Practice for Strain-Controlled Thermomechanical Fatigue Testing“. Wie bereits gesagt, eine der größten Herausforderungen in Verbindung mit TMF ist, dass die Gesamtbelastung thermische und mechanische Komponenten beinhaltet und die genaue Verteilung bekannt sein muss. Der oben zitierte Praxiscode schränkt den Phasenverschiebungsbefehl daher auf zwei Möglichkeiten ein: Phasengleicher Zyklus (maximale Dehnung bei maximaler Temperatur) und phasenabweichender Zyklus (maximale Dehnung bei minimaler Temperatur). Der Code beinhaltet außerdem alle erforderlichen Schritte zur Durchführung der Prüfung, von der Kalibrierung bis zur Datenberichterstattung.
F: Wie können Forscher sicherstellen, dass sie die Anforderungen des Praxiscodes erfüllen?
A: Forscher können dem Code entsprechen und die Komplexität der TMF-Prüfung bewältigen, indem sie moderne Softwarelösungen einsetzen. MTS bietet eine TMF-Vorlage für die MTS TestSuite™ Multipurpose-Software zum Durchführen von Prüfungen nach ASTM- und ISO-Standards sowie nach Maßgabe des European Validated Code of Practice for Strain-Controlled Thermomechanical Fatigue Testing. Die Vorlage ist vollständig transparent und bietet uneingeschränkten Einblick in Algorithmen und Berechnungen. Forscher können sie daher heranziehen, um Standards auf unterschiedliche Weise auszulegen. Durch Modifizieren der Vorlage können sie außerdem neue Einblicke gewinnen. Dank dieser Flexibilität lassen sich viele unterschiedliche TMF-Prüfungen für eine breite Palette von Materialien und Prüfkörpergeometrien durchführen.
F: Welche Funktionen der Vorlage und der Software eignen sich besonders gut für TMF-Prüfungen?
A: Jede Aufgabe im Praxiscode wird in der Vorlage durch eine Schaltfläche im Befehlsbereich dargestellt. Jede Schaltfläche ist durch einen Programmblock definiert, den der Anwender modifizieren kann. Im Prinzip können Sie alles ändern, was Sie sehen. Dies gilt für Prüfberechnungen und den Workflow sowie für die visuelle Darstellung von Daten während der Prüfung, wodurch sich unbegrenzte Ansichten und Konfigurationsmöglichkeiten für den Anwender ergeben. Gleiches gilt für die Ergebnisse. Sie können Daten exportieren und Ergebnisse in dem Format präsentieren, das Ihren Anforderungen am besten entspricht.
F: Wie sieht die Zukunft von TMF-Prüfungen aus?
A: Einer der wichtigsten Trends bei der Testdurchführung ist die Integration der Modellierung. Zusammen mit einem unserer Partner haben wir eine Lösung entwickelt, mit der sich die Wärmeentwicklung besser vorhersagen lässt. Mit dieser neuen Lösung können wir den Prüfkörper, die Spule und die Spannzeuge modellieren, um noch vor dem Bau der Hardware herauszufinden, welche Werte, Geschwindigkeiten und Temperaturverteilung für den Prüfkörper erreicht werden können.